Auf Weltreise verliebte sich meine beste Freundin in einen Holländer, der daraufhin beschloss, nach Österreich zu ziehen. Weil meine beste Freundin sehr neurotisch ist und er sie nicht überfordern wollte, zog er, bis er eine eigene Wohnung fand, vorübergehend in mein Wohnzimmer, das seit Wochen leer steht, weil ich dringend meinen zweiten Roman abgeben muss und keine Zeit für Wohnen habe. Wir mussten ihr schwören, auf keinen Fall über sie zu reden, schließlich kennt er sie nackt und ich sie seit dem Kindergarten. Außer ihr hatten wir jedoch keine Gemeinsamkeiten, und so sprachen wir Abende lang über unsere beiden Länder.
Wir stellten fest, dass die Niederlande halb so groß wie Österreich sind, aber doppelt so viele Einwohner haben. Er erklärte mir, warum der niederländische Fußball so geil ist, und ich ihm, warum Wien eine Stadt in Osteuropa, nicht in Westeuropa ist. Einzig zwei Fragen konnten wir nie klären; ich kapiere nicht, wieso fast alle niederländischen Gerichte frittiert werden und er versteht nicht, warum die meisten Österreicher kein Englisch können.
Selbst wenn wir diese Fragen nicht lösen konnten, das wichtige ist; sie kamen auf den Tisch. Bis zu dem Moment, als der niederländische Freund meiner besten Freundin mich fragte, wieso sich alle Österreicher wie schlechte Falco-Imitatoren anhören, sobald sie Englisch sprechen wollen, waren mir die miserablen Fremdsprachenkenntnisse meiner Papenheimer gar nicht bewusst – schlagartig jedoch fiel es mir von den Augen, ja, wir können wirklich alle kein Englisch. Und Remco erging es ähnlich, schon allein an der Tatsache, dass ich keine Fritteuse in der Küche habe, nahm er wahr, dass nicht alles Essen einen zweiten Tod im Fett sterben muss, um es genießbar zu machen.
Das tolle an Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen ist ja nicht nur, dass man Dinge der anderen Kultur lernt, sondern auch, wie viel man über sich selbst versteht. Und das gilt nicht nur für zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auch für die Literatur.
Als ich meinen ersten Roman schrieb, war ich mir wenig bis gar nicht darüber bewusst, was ich da eigentlich tat. Als ich jedoch mit Übersetzern zusammenarbeitete, verstand ich die Eigenheiten der Sprache. Plötzlich lernte ich, wie massiv zweideutig die Syntax deutscher Sätze ist. Ich verstand, wie viele Bedeutungsnuancen und Eigenheiten das österreichische Deutsch hat und kam ins Staunen darüber, für wie viele Wörter andere Sprachen teilweise gar keine Ausdrücke haben. Und ich verstand auch, dass Übersetzen eigentlich Aneignung bedeutet. Als ich erstmals die niederländische Übersetzung in der Hand hatte, hatte ich das Gefühl, das dieses Buch nur zu 40 % mir gehört, und zu 60 % Kor de Vries, dass wir gemeinsam jedoch etwas ganz neues schafften, als wäre mein Werk erweitert worden, ohne dass ich etwas dafür getan hätte.
Genau wegen diesem Austausch, wegen der Erweiterung der Grenzen, vielen Entdeckungen fremder, aber auch neuem Verständnis eigener Dinge, freue ich mich schon so auf die Tage in DenHaag.
Literaturfestivals bedeuten meistens viele spannende Autoren, großartige Musiker, Kollegen aus der ganzen Welt kennenlernen, zu wenig schlafen, zu viel trinken – und Crossing Border stelle ich mir ganz besonders intensiv vor, ich habe schon große Probleme, mich zu entscheiden, was ich auslasse und was ich mir ansehe, es sind zu viele tolle Dinge dabei.
In meiner wirren Fantasie ist alles mit hunderten Tulpen dekoriert und wahrscheinlich doppelt so viele Menschen wie bei einer deutschen Lesung auf halb so viel Platz. In meiner Fantasie treffe ich Arnon Grunberg und kann ihm erzählen, dass ich gern ein Kind von ihm hätte. Und wenn nicht, dann auch gut oder umso besser. So oder so, es wird großartig werden.
Vea Kaiser
Prolog
04-11-2014